AVB-Standard: Pro und Kontra

avb

AVB ist ein einheitlicher Standard zur Datenübertragung, mit dessen Hilfe die unterschiedlichsten Komponenten miteinander kommunizieren können. Die bisher existierende Vielzahl an Übertragungsstandards wäre damit überflüssig. Neben dem Einsatz im professionellen Audio- und Videosektor ist AVB vor allem für Home-Entertainment- und Automotive-Anwendungen gedacht.

Im Januar 2010 präsentierte das IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) den Audio Video Bridging Standard (AVB) unter dem Code IEEE 802.1 Qav. Es handelt sich um einen von insgesamt vier Standards („Precision Time Protocol“ (802.1AS), „Queuing & Forwarding“ (802.1Qav), „Reservation & Allocation“ (802.1Qat) und 802.1BA „Audio Video Bridging Systems“), mit dem eine neue Ära in der digitalen Audio- und Video-Datenübertragung eingeläutet werden soll. Mittlerweile ist einiges passiert, die letzte Meldung der federführenden Organisation AVnu Alliance war die Zertifizierung von AVB-Komponenten ab 2013.

Zu den Mitgliedern der AVnu Alliance zählen Firmen wie Harman, intel, cisco, Audinate, AVID, Barco, beyerdynamic, Biamp Systems, Bosch, Focusrite, Gibson, General Motors, Loud Technologies, Meyer Sound, Peavey, Powersoft, Presonus, Riedel Communications, Sennheiser, Shure, TC Group, Texas Instruments, Uman und Yamaha.

EventElevator hat sich in der Branche umgehört und präsentiert zwei sehr unterschiedliche Ansichten zum Thema AVB. Zu Wort kommen Henning Kaltheuner, Head of Product Management bei Riedel Communications, und Marc Brunke, Gründer und Inhaber von Optocore. Beide Unternehmen zählen die Übertragung von Daten aller Art zu ihren Spezialgebieten. Zu erwähnen ist noch, dass die Hardware von Optocore AVB-kompatibel ist, auch wenn sich Marc Brunke durchaus kritisch zu diesem Standard äußert.

„Garantierte Bandbreiten und Übertragungsstabilität werden möglich“

Henning KaltheunerMit AVB erleben wir momentan eine spannende Entwicklung. Die Art und Weise, wie wir Festinstallationen bislang angegangen sind, wird sich in der nächsten Zukunft drastisch ändern. Waren Installationen bisher noch von einer Vielzahl paralleler Infrastrukturen wie Audio oder Kommunikation geprägt, geht AVB den für uns den entscheidenden Schritt weiter.

Alle Signaltypen über ein einziges Ethernet-Netzwerk zu transportieren, wird zukünftige Installationen extrem vereinfachen – sowohl im Aufbau als auch in der Wartung und Nutzung.

Im Gegensatz zu bereits bekannten IP basierten Netzwerklösungen, bietet AVB einige entscheidende Vorteile. Durch einen neuen Mechanismus der Bandwidth Reservation, der allen bisherigen QoS Verfahren weit überlegen ist, ist es innerhalb von AVB Netzwerken möglich, Daten zuverlässig zu priorisieren, so dass garantierte Bandbreiten und Übertragungsstabilität möglich werden. Entgegen vieler Annahmen ist die Latenz in AVB Netzwerken unter einer Millisekunde und erlaubt dabei problemlos Echtzeitanwendungen wie etwa Kommunikation oder Audioübertragung.

Interessant ist dabei, dass wir hier nicht von einem proprietären Protokoll sprechen, dass auf einen bestimmten Signaltyp spezialisiert ist, sondern es bei AVB mit einem offenen System zu tun haben, dass den Transport einer Vielzahl unterschiedlicher Signaltypen wie Audio, Daten oder Video über ein einziges Netzwerk erlaubt.

Dies bedeutet hingegen auch, dass man für eine Realisierung eines AVB-Netzwerks, AVB kompatible Switches benötigt. Erfreulicherweise erhält jedoch das Ethernet-Netzwerk im gleichen Zug so ein Update auf einen Transportstandard, der mit den Kompromissen von Ethernet bei der Übertragungsqualität und –zuverlässigkeit aufräumt.

AVB bedeutet nicht nur den Transport unterschiedlicher Signaltypen über eine einzelne Infrastruktur, AVB heißt auch, dass Produkte verschiedener Hersteller untereinander kommunizieren und Signale austauschen können. Verantwortlich für die Interoperabilität ist die AVnu Alliance, welche die einzelnen AVB-kompatiblen Produkte zertifiziert. Dies ist ein enormer Schritt in Sachen Interoperabilität, der neue, weitaus vielseitigere Installationen erlaubt. Endgeräte können etwa an verschiedenen Orten installiert werden, ohne dass Veränderungen an der Verkabelung notwendig sind; zusätzliche Geräte lassen sich problemlos ergänzen – ein Segen etwa für Theaterinstallationen. Der Enthusiasmus, den wir auf Seiten unserer Kunden und Systemplanern bezüglich AVB erfahren, zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Interessant an den AVB-Entwicklungen ist, dass wir hier nicht von einer Entwicklungsidee sprechen, sondern dass AVB ein herkömmlicher IEEE-Standard ist, der bereits Realität ist – quasi eine Art Ethernet 2.0. Namhafte Hersteller von Netzwerktechnologie wie Netgear oder Broadcom setzen bereits heute schon auf AVB kompatible Technik und arbeiten aktiv an der Verbreitung des AVB-Standards. Im gleichen Zuge stellen wichtige Technikhersteller wie Harman, Avid oder Meyer Sound bereits AVB kompatible Produkte der Öffentlichkeit vor. Wir sehen daher mit Spannung in die Zukunft und freuen uns auf Installationen, die bis dato so noch nicht möglich waren.

Henning Kaltheuner – Head of Product Management Riedel Communications

„Die gleichen Probleme wie jedes Ethernet-basierte Netzwerk“

Marc BrunkeMit Spannung haben wir das Thema AVB verfolgt. Leider ist AVB nur eine Erweiterung bestehender Systeme und behebt nicht die fundamentalen Probleme von Ethernet für Audio/Video – es besitzt also die gleichen Problemen wie jedes Ethernet-basierte Audio/Video Netzwerk.

Hier die wichtigsten fundamentalen Probleme im Überblick:

– Hohe Latenz: AVB standardisiert 2ms für kleine oder 50ms für große Netzwerke. Mittlerweile werden Audiosignale in Installationen aber gerne mal durch 10-20 Geräte geschickt. Kaum vorstellbar, dass 40-1000ms Latenz von Musikern geduldet wird.

– Verschwendung von Ressourcen: Für bessere Latenz werden ca. 50% der verfügbaren Bandbreite geopfert. Ausgänge (listerer) kosten weitere Bandbreite. Dann muss man noch „Sicherheiten“ einplanen. In der Praxis wird AVB ca. 10 Prozent der Kapazität von determinstischen Systemen wie AES/EBU, Madi oder Optocore besitzen. Das würde Planer zu sehr komplizierten und teueren Netzwerken zwingen.

– Verschwendung von Strom: Für AVB werden sehr schnell 10G Ethernet Netzwerke nötig. Diese Infrastruktur ist jedoch extrem stromhungrig. Kunden, die Optocore verplant haben, berichten regelmäßig von 20x – 50x (!) weniger Strombedarf mit einem Optocore System im Vergleich zu einem Ethernet basierten Netzwerk.

Fazit:

Es ist noch zu früh, um über die Zukunft von AVB zu spekulieren. Niemand besitzt Erfahrung, und etliche Details – wie die Bitreihenfolge des Audio-Pakets – sind nicht definiert. Sehr wenige Entwickler kennen sich bei AVB wirklich aus.

Die verschiedenen Märkte werden verschieden reagieren: Während für den Consumer Electronic Markt eine Ethernet basierte Audiokommunikation weltweit sehr wichtig ist, ist für den Automotive-Markt AVB nur in den USA ein Thema – die europäischen und asiatischen Hersteller setzen auf MOST, das sich wie eine Kopie von Optocore liest. Für die professionelle Audiotechnik wird AVB allein aufgrund der oben genannten Punkte nur ein Nischendasein führen können.

Marc Brunke, Firmengründer/Inhaber Optocore